Einblick in die Arbeit vom „Hospiz im Wohld“:

Ein Vortrag am Gymnasium Kronshagen

Am vergangenen Dienstag (04.06.) kamen – im Rahmen des Religions- und Philosophieunterrichts – Dr. med. Dr. phil. Friederike Boissevain und Prof. Dr. med. Harald Schöcklmann vom „Hospiz im Wohld“ in Gettorf zu uns ans Gymnasium Kronshagen. Sie sind Mitbegründer der Einrichtung für Palliativpflege, die 2012 gegründet wurde, zunächst ambulant, seit 2020 auch stationär. Beide haben fachärztliche Erfahrung in der Inneren Medizin und leiten den Verein mit über 120 ehrenamtlichen Helfern, darunter auch sehr junge. Zudem arbeiten 35 hauptamtliche Mitarbeiter am „Hospiz im Wohld“. Mit ihrer Arbeit ermöglichen sie vielen Menschen ein Lebensende, das mit möglichst wenig Leiden, guter Betreuung, viel Ablenkung und Beistand einhergeht. Die Patienten sind oft aufgrund von altersbedingten Krankheiten im Hospiz, manchmal benötigen jedoch auch Babys, Kinder und Jugendliche palliative Hilfe. Viele Patienten werden mit Morphin behandelt, was ihnen einen Großteil der Schmerzen nimmt, sie aber dennoch – zumindest phasenweise – bei klarem Verstand bleiben lässt.

Der Alltag im Hospiz scheint nicht nur vom Tod bestimmt zu sein. Viele Gespräche, Spiele und Zeremonien schaffen eine Umgebung, in der Sterbende ihre letzten Wochen und Monate leichter verbringen können. Oft möchten sich die Patienten geregelt von ihren Angehörigen verabschieden, sich letzte Wünsche erfüllen oder ihr gelebtes Leben noch einmal Revue passieren lassen. In Gesprächen wird teilweise um verpasste Chancen getrauert oder über vermeintlich falsche Lebenswege nachgedacht. Vereinzelt gibt es Menschen, die sich in ihrem letzten Lebensabschnitt spirituellen Fragen widmen und deshalb an Pastoren herantreten. An dieser Stelle appellierte Frau Boissevain an uns Schüler, unsere unerfüllten Lebensträume und -ziele nicht aus den Augen zu verlieren und sie zu verwirklichen, bevor es nicht mehr möglich ist.

Der Prozess des Sterbens sei wie ein Mensch in einem Boot, das sich immer weiter vom Land entfernt, wobei sich der Mensch zunehmend auf das eigene Bett reduziert, bei sich selbst bleibt und seine Wünsche hinter sich lässt. Die Palliativmediziner sind entweder im Hospiz aktiv oder betreuen Patienten in häuslicher Pflege. Die vielen ehrenamtlichen Sterbebegleiter, aber auch Pflegekräfte begleiten nicht nur die Gäste im Hospiz, sondern auch schwerkranke Menschen zu Hause, da oft keine Angehörigen mit ausreichend Zeit oder Kraft zur Versorgung der Personen gefunden werden.

Von den 800.000 sterbenden Menschen in Deutschland pro Jahr sterben die meisten in Krankenhäusern. Dies liegt daran, dass bei einer medizinischen Therapie stets die Heilung des Patienten und lebensverlängernde Maßnahmen im Vordergrund stehen. Erst als letzten Schritt dient die schmerzlindernde Palliativpflege, um Leiden, Ängste und Depressionen zu verhindern. Der Schmerz über Entscheidungen oder Abschied, der oft am meisten wiegt, kann den Patienten jedoch nicht genommen werden, erklärte Herr Schöcklmann bedauernd. Weitere Aufgabenfelder sind ethische Beratungen beim Einstellen lebensverlängernder Maßnahmen, da solche Fälle häufiger werden.

Das Leben im Hospiz wird durch den Einsatz von Hunden belebt, die sich von den Patienten streicheln lassen und auch Kinder mit ihrem gleichmäßigen Atem beruhigen können. Da die Helfer im Hospiz auch viel Kontakt zu den Hinterbliebenen der Verstorbenen haben, arbeiten sie eng mit Trauerbegleitern zusammen, die Einzel- sowie Gruppengespräche führen oder zum „Trauercafé“ einladen. Da die ständige Konfrontation mit dem Tod sich mental belastend auf die Pflegekräfte auswirken kann, stehen ihnen Außenstehende für Gespräche und Supervision zur Verfügung. Der Aufenthalt und die Pflege in einem Hospiz setzen bestimmte Bedingungen voraus und sind sehr kostenintensiv, was am hohen Aufwand der Betreuung liegt. Sind die Kriterien nach der Beurteilung eines Arztes gegeben, so zahlen die Krankenkassen 95 % der anfallenden Kosten, der Rest wird durch Spenden beglichen.

Auf die Frage, wie die Palliativmediziner mit dem Wunsch nach assistiertem Suizid umgehen würden, entgegnen sie, dass sie geplantem assistierten Suizid bzw. aktiver Sterbehilfe sehr abgeneigt gegenüberstehen und beteuerten, so etwas weder durchzuführen noch zu unterstützen. Gerade im hohen Alter könnten Entscheidungen sehr ambivalent sein und sich mehrfach in kurzer Zeit ändern. Oft erübrige sich er Wunsch nach Suizidbeihilfe bereits nach wenigen Tagen nach der Ankunft im Hospiz, wenn Gäste medizinisch, pflegerisch und seelsorgerisch gut versorgt werden. Auch müsse deutlich zwischen eigenem, klarem und unbeeinflusstem Willen und einem von Dritten beeinflussten, aus Ängsten hervorgegangenen und möglicherweise durch Depressionen veranlassten Willen unterschieden werden können. Sie sehen das Risiko, dass ältere Menschen als Ballast angesehen werden könnten, der Druck von Familien auf ältere oder kranke Angehörige steigen könnte und sich somit ein Kontrollverlust einschleichen würde. Es könnte sogar zu einer Unterscheidung zwischen lebenswertem und unwertem Leben kommen, was Erinnerungen an die deutsche NS- Geschichte wachrufe.

Frau Boissevain und Herr Schöcklmann mit einigen Schülerinnen und Schülern des 11. Jahrgangs

Die Schüler wurden von den Referenten aktiv einbezogen, zum Beispiel wurden sie gefragt, was ihr letzter Wunsch sein könnte, worauf die Nähe zu den Liebsten, Ablenkung und so wenig physisches Leiden wie möglich die Antworten waren. Es gelang den Vortragenden, ihren Vortrag über ein eher bedrückendes Thema sehr locker und anschaulich zu gestalten. Wie sich im Nachhinein herausstellt, empfinden viele Schülerinnen und Schüler Hospize nun nicht mehr als abschreckend, da sie mitbekommen haben, wie wohlwollend und professionell die Mitarbeiter des Hospizes mit ihren Patienten umgehen. Ein Hospiz scheint also ein lebendigerer Ort zu sein, als zuvor angenommen. Da das alltägliche Thema des Sterbens nah mit der Palliativmedizin verbunden ist, sollte offen und unvoreingenommen darüber gesprochen werden können, damit es kein Tabuthema bleibt.

Wir danken Frau Boissevain und Herrn Schöcklmann für Ihren spannenden Vortrag!

Finn Fuchs, 11. Jahrgang


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